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Léon Palustre (1838-1894)
Während seiner zweiten Englandreise (1862) lernt Léon Dehon seinen zukünftigen Freund Léon Palustre kennen. Dieser erzählt derart begeistert von seinem Wunsch, eine Tour durch ganz England zu unternehmen, dass Dehon sich prompt anschließt. So beginnt eine tiefe Freundschaft, die Jahre lang dauern wird. Geeint durch die Ernsthaftigkeit ihres katholischen Glaubens, sind die beiden doch in vielem ein ungleiches Paar.
Sowohl die Interessen als auch das Temperament Palustres unterscheiden sich deutlich von denen Dehons. Zu einem großen Teil profitiert Dehon von dieser Unterschiedlichkeit: Durch Palustre macht er - wenn auch bescheidene – Bekanntschaften mit der zeitgenössischen Literatur. Vor allem aber öffnet und schärft Palustre die Augen Dehons für Kunst und Architektur, in ihrer gemeinsamen Zeit in Paris, auf den gemeinsamen Reisen und während Palustres Besuchen in Rom.
Über das Temperament Palustres sagt Dehon selbst: "Er besaß einen schwierigen Charakter, einen stählernen Willen und eine stolze Natur" und "hatte großherrschaftliche Manieren und einen dementsprechenden Geschmack." (NHV I/64v und NHV II/2r) Jenes Temperament führt die beiden Freunde des Öfteren in schwierige Situationen, am bekanntesten ist die Episode während der Orientreise, als die beiden auf dem Weg von Ägypten nach Jerusalem an die Grenze des osmanischen Reiches gelangen. Palustre hatte offensichtlich des Öfteren angesichts der bedrängenden Bettler in Ägypten die Nerven verloren und zu seinem Reitstock gegriffen. Als der Grenzbeamte nun beim Eintritt in das Osmanische Reiche einen Gesundheitsausweis verlangte, glaubt Palustre sich wieder einem Bettler gegenüber und schlägt mit seinem Reitstock auf ihn ein. Der Grenzoffizier, so erzählt P. Dehon, will daraufhin die beiden Touristen verhaften und nach Konstantinopel ausliefern. In seinem dramatischen Bericht notiert Dehon:
"Für einen Augenblick dachte ich, wir würden die Festtage [Ostern] statt an den Heiligen Stätten in Istanbul verbringen." (NHV III/143) Als er dem Offizier jedoch klarmachte, dass Palustre aufgrund eines Missverständnisses und einer Verwechselung die Nerven verloren hatte, dürfen die beiden Franzosen weiterziehen.
Oft hat P. Dehon seinen Freund während seiner Seminarszeit besucht. Fast zeitgleich feiern die beiden Freunde ein lebensentscheidendes Ereignis: Léon Dehon wird am 19. Dezember 1868 zum Priester geweiht, wenige Tage später heiratet Léon Palustre. Der Brief Dehons an seinen Freund vom Januar 1869 ist noch einmal ein Beleg für die Tiefe einer Freundschaft, die für Dehon einzigartig war - übrigens in der gesamten Korrespondenz Dehons einer der wenigen Menschen, die geduzt werden.
"Mein lieber Freund, Deine Wünsche sind erfüllt und du nun Oberhaupt einer Familie. Ich beglückwünsche Dich dazu und bin überzeugt, dass Du darin Dein Glück finden wirst. Meine Wünsche und meine Gebete begleiten Dich in dieser großen Lebenstat. Ich habe für Dich Dienstag das Hl. Messopfer gefeiert. Ich hoffe, dass Gott Deine Ehe segnen wird. ... Am 19. Dezember hast Du mir gefehlt. Man ist so froh, an solchen großen Tagen seine Freunde um sich zu haben, die mit einem um Gottes Gnaden bitten und an den Freunden teilhaben. ... Ich werde Dir nicht die Tröstungen beschreiben, die Gott mit derartigen Gnaden schenkt. Du hast sie selbst manches Mal verkostet." (LD 107, Brief vom 15.1.1869)